Das Angebot

Der religiöse, weltanschauliche und Psychomarkt ist ein Wachstumsmarkt. Es expandieren nicht allein die Umsatzzahlen. Ständig vergrößert sich zur Zeit auch die Zahl der Anbieter. Oft wird aus Versatzstücken der konsumierten Systeme ein neues eigenes kreiert und wiederum Anhängerschaft gesammelt. Bestehende Organisationen setzen Gruppen von Abweichlern frei, stark wachsende Bewegungen spalten sich oder vergeben Lizenzen.

Der Markt der 90er Jahre ist stärker professionalisiert als der der 70er und 80er Jahre: Moderne Management- und Marketingmethoden fanden Eingang in die Gruppen. Man ist nicht mehr nur allein überzeugt von seinem exklusiven "Produkt", sondern weiß es zunehmend professionell zu verkaufen. Verheißen werden Glück und Heil, die zu erlangen über klar definierte Wege und Stufen für jeden möglich erscheint. Er muß nur bereit sein, sich seiner grundsätzlichen Omnipotenz bewußt zu werden, die ausschließlich vom angebotenen perfekten System aufgeschlossen und vollendet werden könne.

In der Öffentlichkeit wird häufig eine Zahl von 600 Gruppen genannt, die den religiösen, weltanschaulichen und Psychomarkt bevölkern sollen. Wer auf welche Weise zu dieser Zahl gelangt ist, läßt sich nicht mehr nachvollziehen. Gewiß aber ist, daß mit dieser Zahl nicht potentiell konfliktträchtige Gruppen (sogenannte "Sekten"), die Menschen in psychische oder finanzielle Abhängigkeit führen, gemeint sein können - in diesem Fall wäre die Zahl übertrieben.

Gleichermaßen infrage gestellt werden müssen umhergeisternde Zahlen von Anhängern: Wenn nicht einmal die Zahl der Gruppen klar umrissen ist, wer wollte dann auf welche Weise Mitglieder, Anhänger und Sympathisanten statistisch fundiert erfassen? Überdies muß von einer hohen Anhängerfluktuation ausgegangen werden: Oft nur ein kleiner Kern verharrt über viele Jahre in einer Gruppe. Mancher wechselt die Gruppe und damit oft auch seinen Glauben; mancher Aussteiger betrachtet die Zeit seiner Mitgliedschaft als ein dunkles Kapitel in seiner Lebensgeschichte.

Viele der öffentlich benannten Zahlen sind von den Gruppen selbst in Umlauf gesetzte und verlangen Skepsis. Bieten sie den Gruppen doch die Chance, entweder die eigene Bedeutung zu erhöhen und in der Öffentlichkeit ein Wachstum zu demonstrieren, das man sich wünscht und herbeizureden trachtet. Manche Organisation stellt sich auch bewußt als unbedeutend dar, um Kritikern im Sinne von "Viel Lärm um nichts" den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Auch ohne sich an Zahlen zu klammern, zeigen öffentliche Diskussion und Anfragenfrequenz und -qualität bei zuständigen Stellen deutlich, daß es sich um ein Problem von gesellschaftlicher Relevanz handelt. Denn umstrittene Psychoangebote verweisen stolz auf Zehntausende von Teilnehmern, und auch zahlenmäßig wenige Anhänger totalitärer Systeme können, in Schlüsselpositionen eines gesellschaftlichen Gefüges plaziert, erheblichen Schaden anrichten. Last not least kann eine Gesellschaft, welche sich humanistischer Tradition verpflichtet weiß, die teilweise dramatischen Schicksale Betroffener und deren Angehöriger nicht ungerührt übergehen.

 

Zurück zur Startseite